Yumas Spürnase im Wind

Der Rettungsrucksack von Sandra Jüni ist immer gepackt. Innerhalb von vier Stunden ist die Hundeführerin von REDOG mit ihrer Hündin Yuma vor Ort. Wenn etwa ein erschöpfter Wanderer oder eine demente Frau vermisst wird.

Reportage und Bilder: Marcel Friedli
Erschienen in der Zeitschrift "Samariter", 2016

 

Der Hund, welcher der Suchhündin Yuma an diesem Sonntagmorgen entgegenkommt, ist für sie uninteressant, wie Luft: Die Ohren spitz nach oben gerichtet, ist Yuma ausschliesslich auf Menschendüfte fokussiert und scheint über den Artgenossen hinwegzulaufen. Seit ihr Sandra Jüni das orange Gstältli, im Fachjargon Schabracke genannt, über den Kopf gestülpt hat, ist Yumas Nase im Arbeitsmodus und immun gegen Ablenkungen.

Es ist halb zehn Uhr morgens an einem trüben Februartag. Sandra Jüni übt mit ihrer dreijährigen Hündin Yuma. Das erste ganztägige Training des Jahres, eine Vorbereitung für den nächsten Eignungstest. «Wobei Training nicht die passende Bezeichnung ist, denn für Yuma ist dies ein Spiel», erklärt die Rettungshundeführerin. «Wir nutzen so viele Gelegenheiten wie möglich, um dazuzulernen – ausgelernt haben wir aber nie.»

Die beiden gehören zu den rund vierzig Teams, die weitflächig ein Gelände absuchen, wenn eine Person vermisst wird. Ist der oder die HundeführerIn erfahren, dauert es im Schnitt etwa zwei bis drei Jahre, bis ein Hund einsatzbereit ist.

Um ihr Ziel zu erreichen, haben die Hundeführerin und Yuma viel Zeit investiert: jede Woche ein Abendtraining, dazu Wochenendeinsätze wie heute. Yuma prescht los, die Nase im Wind, zieht rasche Kreise, nimmt Witterung auf. Sandra Jüni motiviert sie, etwas weiter ins Gelände hinauszuziehen. «Heute hat sie etwas Mühe, sich zu lösen», sagt die Mutter zweier Kinder und Ex-Spitzensportlerin im Kanu. Sie weiss jedoch warum: Yuma ist noch etwas müde von ihrem allerersten Einsatz, der erst ein paar Tage zurückliegt.

 

Auch wenn wir niemanden finden. Unser Einsatz ist sinnvoll. Vor allem für die Angehörigen.

Sandra Jüni, REDOG Hundeführerin

Einen Tag lang haben die beiden nach einem vermissten Mann gesucht. Trotz intensivem Einsatz wurde er jedoch nicht gefunden. «Natürlich ist man dann frustriert», räumt Jüni ein. «Dass es für Yuma letztendlich ein Spiel ist, über das sie sich freut, hat mir aber geholfen, auch positiv zu bleiben. Wir ergänzen uns optimal. Zudem ist unser Einsatz immer sinnvoll, weil er die Angehörigen entlastet und zur Gewissheit beitragen kann.» 

Jetzt stiebt Yuma auf Sandra Jüni zu. Sie hat etwas in ihrer Schnauze: das Bringsel, eine Art Anhänger, das als Mittel der Kommunikation dient. Yuma sagt damit: «Ich habe etwas gefunden!» Auch bellen wäre Kommunikation. «Das hat aber den Nachteil, dass man es, je nach Umgebung, nicht hört.» Sandra Jüni folgt Yuma, und siehe da: Ihre Hündin hat einen Rucksack gefunden. «Gut», lobt sie, hält die Tube mit Wurst hin, an der Yuma freudig leckt. Dann greift Jüni nach dem Ball in ihrer Jackentasche, wirft ihn Yuma zu. «Das Spielen mit dem Ball ist eine weitere Belohnung, wichtig für die Motivation.»

Nach dem Spielen sucht Yuma weiter, zieht ihre Kreise. «Auch während des Suchens soll der Hund immer wieder gelobt werden», erklärt Sigrid Böttcher, die das heutige Training leitet. «Die Hundeführerinnen und Hundeführer vergessen manchmal, ihren Hund bei Laune zu halten.» Yuma spitzt die Ohren, als sie an einem Dickicht vorbeikommt, wird dann jedoch abgelenkt. Schliesslich motiviert Sandra Jüni ihre Hündin, diesen Ort genauer zu erforschen.

«Es ist ein Zusammenspiel von Hund und Mensch», sagt Böttcher, die eineinhalb Jahre Mitglied des Samaritervereins im aargauischen Ehrendingen war, «den Hund mal gehen lassen, auf seine Fähigkeiten vertrauen, ihm aber hie und da einen Tipp geben und ihn dazu animieren, auch über eine vermeintliche Grenze, zum Beispiel vom Wald in Richtung Wiese, zu suchen.»Nun sucht Yuma das Dickicht und die Mulde genauer ab und wird fündig. Sandra Jüni lobt sie, geht mit ihr zum Figuranten Iwan Kobi, der Wurst für sie aus der Tube drückt und dann mit ihr spielt. Figuratinnen und Figuranten sind diejenigen, die sich im Wald für die Trainingssuche verstecken.

«Figurant sein», erklärt Sigrid Böttcher, «ist nicht so einfach, wie man auf den ersten Blick denkt. Man muss den Zeitpunkt, wann man bestätigt, also lobt, im Gefühl haben. Dieser unterscheidet sich jedoch von Hund zu Hund und ist abhängig vom Ausbildungsstand und der Erfahrung.» Manchmal verstecke sich der Figurant erst am Ende des abzusuchenden Gebiets.

Auch während des Suchens soll der Hund immer wieder gelobt werden.

Sigrid Böttcher, Ausbildnerin REDOG

«Hie und da», sagt Böttcher, «ist, um die Anforderungen zu steigern, niemand versteckt. So üben wir auch die Frustrationstoleranz von Hund und Mensch. Denn leider ist das oft die Realität: Trotz intensiver Suche finden wir die gesuchte Person nicht.» So war es auch die Woche zuvor. «Yuma war frustriert», sagt Jüni, «darum habe ich am Schluss des Einsatzes noch einen Sack versteckt. Aber es war für sie nicht dasselbe wie während des Einsatzes. Deshalb sind die Erfolgserlebnisse heute besonders wichtig.

Yuma hechelt. Sandra Jüni stellt den Rucksack auf den nassen Erdboden und fördert eine Flasche zutage: Wasser für Yuma, die sofort zu läppeln beginnt. «So intensiv zu riechen, ist eine Höchstleistung, die enorm durstig macht», erklärt sie. Der Fluss des Wassers stoppt sofort, wenn Yuma zu trinken aufhört. «Bei einem Einsatz ist es wichtig, mit dem Wasser haushälterisch umzugehen, es muss ja alles geschleppt werden.»

Jüni drückt die Flasche zurück in ihren Rucksack und schultert ihn mit Schwung. Der Rucksack wiegt zwanzig Kilogramm. Neben Wasser enthält er Essen für Sandra Jüni und ihren Hund, eine Apotheke mit Nothilfe-Materialien sowie Helm, Seil und Karabiner, um sich allenfalls in alpinem Gelände sichern zu können. «Denn die Sicherheit der Retterinnen und Retter», betont Jüni, «steht an oberster Stelle.» Vielleicht wird ihr der Rucksack schon bald wieder gute Dienste leisten. Gepackt jedenfalls ist er immer. Und Yuma freut sich sowieso auf den nächsten Einsatz. Unabhängig davon, ob es ernst gilt oder geübt wird – die Freude am Suchen und Spielen wird die beiden auch in Zukunft beflügeln.