Für die Hunde bleibt es ein Spiel, auch im Ernstfall

Es kommt selten vor, dass sich Hunde bei Rettungseinsätzen verletzen. Bei der Suche nach Überlebenden nach den heftigen Regenfällen und Erdrutschen im Herbst 2014 im Tessin trugen zwei Hunde Schürfwunden davon, eine davon tief. Doch schon zwei Monate später war Joy und Cesar nichts mehr anzumerken.

Reportage: Dagmar Wurzbacher

 

Zärtlichkeit. Ja, das Wort trifft es am besten. Und hingebungsvoll. Joy geniesst es sichtlich, wie Cesar ihr rechtes Ohr abschleckt. Plötzlich sind sie dann wieder auf und davon, die zwei Energiebündel. Spannen ihre athletischen Körper und springen aus dem Stand meterweit, rennen an diesem frühlingshaften Wintertag über das weite Feld, stocken, umrunden einander, rasen zum Bach hinunter, hinauf, wälzen sich genüsslich am Boden. Vergessen sind die Verletzungen zwei Monate zuvor.

Die Angst ist keine ständige Begleiterin

Nein, Angst kannte Paola Poli bei Einsätzen nicht. Bis Davesco. Im letzten November, 2014. Als sie das Trümmerfeld sah, ein ganzer Hang übersät, hatte die Hundeführerin Angst um ihre Hündin Joy, einen Weimaraner Kurzhaar. Dass sie sich verletzen könnte. Zerborstene Fensterrahmen, Holzsplitter, ein Teppich von Glasscherben, Armierungsgitter, in die Luft ragend ihrer Funktion beraubt, Beton, Ziegeln, Mauern, verkeilt. Als hätte ein Kind in seiner Wut ein Lego-Haus in die Ecke seines Zimmers geschleudert, grad so, dass es nicht ganz in alle Stücke zerfällt.

Als hätte ein Kind in seiner Wut ein Lego-Haus in die Ecke geschleudert.

So gefährlich die Trümmer aussehen, selten verunfallt ein Rettungshund bei einem Einsatz. In Davesco nahe Lugano traf es zwei, Joy und Cesar, den Malinois aus der Gattung der belgischen Schäferhunde. Der Misstritt in eine Trümmerspalte beendete für Joy bereits in den ersten zehn Minuten den Einsatz und hatte eine Operation zur Folge, bei Cesar genügten zwei, drei Stiche. „Es geschah am Ende des Einsatzes, auf dem Rückweg, als Cesar sich am Bein verletzte. Er war schlicht müde“, erinnert sich Hundeführerin Rebecca Monn. 16 Stunden waren sie auf den Beinen, Davesco war der zweite Einsatzort in dieser Nacht.

Dreimal wurde REDOG während der anhaltenden Regenfälle im Tessin alarmiert. Zehn Tage vor Davesco hatten Tausende Kubikmeter Schlamm- und Gesteinsmassen in Bombinasco ein Haus unter sich begraben. Joy und Cesar suchten auch dort. Für die 30-jährige Rebecca Monn war es der erste Einsatz überhaupt. Schon nach kurzer Zeit bestätigte sich der Verdacht, dass die Opfer nur noch tot geborgen werden. „Bei dieser Menge von Schlamm überlebt selten jemand“, erklärt Rebecca Monn. Erst später erfuhr sie, dass sie die Opfer kannte. Wie gehen Lebensretterinnen damit um, wenn die Opfer tot geborgen werden?

 

 

Ein ernstes Spiel, das Freude machen kann

„Wir trainieren das ganze Jahr, fast jedes Wochenende und mindestens einmal an einem Abend für diese Situation. Seit letztem Herbst ist sie plötzlich Realität.“ Paola Poli benutzt den Ausdruck „un plaisir sérieux“ (ernstes Vergnügen) und spricht damit die Ernsthaftigkeit des intensiven Trainings für Mensch und Hund an, die doch auch Freude machen soll. «Schon als ich jung war“, sagt die 59-Jährige, „mochte ich Hunde, wollte aber mit meinem Hund etwas machen, das Menschen hilft.“

Menschenleben retten bedeutet manchmal auch Tod. Und auch wenn ein Einsatz zum Ernstfall wird, für die Hunde ist alles ein Spiel. Ein Spiel, an dem sie Freude haben. „Hunde müssen Freude haben, sonst sind sie nach zehn Minuten müde“, erklärt Paola Poli. Immer noch rennen Joy und Cesar um uns herum. Der Boden staubt unter den Pfoten. Die Erde ist so trocken, dass sie aufzubrechen scheint. Der grosse Regen ist lange her, hier im Tessin. Über Wiesen oder in den Wald hinein rennen Hunde gern. Auf ein Hindernis steigen, sich durch schmale Spalten zwängen, ein Loch hinabseilen, müssen sie jedoch lernen.

Rebecca Monn hat Bombinasco noch einmal besucht. Nichts hatte sich verändert, nichts wurde verändert. Die Schneise im Wald, Bäume und Erdreich dort, wo das Rustico einmal stand. REDOG bietet psychologische Begleitung an. Rebecca Monn wollte auch schon zum Telefon greifen, fühlt sich aber im Gespräch mit den Kolleginnen und Kollegen vom Rettungseinsatz gut aufgehoben.

 

Die Reportage erschien in der Februarausgabe 2015 von "Humanité", dem Gönnermagazin des Schweizerischen Roten Kreuzes. REDOG ist eine der Rettungsorganisationen des Schweizerischen Roten Kreuzes.

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