M wie Menschlich

Als ich den Namen Martina Mumenthaler zum ersten Mal aussprach, fiel mir sofort die Dominanz des Buchstaben M auf – an und für sich nichts Aussergewöhnliches. Was mich während unserer Gespräche für dieses Porträt hingegen wirklich erstaunte, ist die Tatsache, dass sich das «M» wie ein roter Faden durch ihr Leben zu ziehen scheint.

Reportage: Eliane Schlegel
Bilder: Martina Mumenthaler und Eliane Schlegel
Erschienen in "24h", dem Mitarbeitendenmagazin der Abteilung Schutz & Rettung der Stadt Zürich

 

M wie Mischling

Es ist ein eiskalter Sonntagmorgen im Januar, als ich Martina Mumenthaler und ihre Hündin Litchi während einer REDOG-Übung im aargauischen Brugg besuche. REDOG  bildet Katastrophen- und Geländesuchhunde-Teams aus. Der Begriff «Team» ist dabei sehr zentral, weil das Zusammenspiel zwischen Mensch und Tier das Herzstück der Rettungsarbeit ausmacht. Martina Mumenthaler und Litchi bestreiten gerade die Ausbildung zum Verschüttetensuchhund mit dem Ziel, eines Tages auf In- und Auslandeinsätzen Personen zu lokalisieren, die beispielsweise bei einem Erdbeben oder Felsrutsch verschüttet wurden.

Was einfach klingt, setzt sehr viel Geduld und Zeit in Form von Trainings voraus. «Litchi ist nicht die Einfachste», verrät mir Martina Mumenthaler mit einem Schmunzeln. «Unseren Übungsleiter treiben wir ab und zu fast in den Wahnsinn.» Auch an diesem Morgen scheint die fünfjährige Mischlingshündin ziemlich aufgeregt zu sein. Trotz der niedrigen Temperaturen läuft sie schon vor der ersten Übung auf Hochtouren. «Sie merkt, dass wir bald loslegen, und möchte einfach nur noch mit dem Suchen starten. Ein kurzer Spaziergang wird ihr helfen, sich zu beruhigen», so die Hundeführerin.

 

Unseren Übungsleiter treiben wir ab und zu fast in den Wahnsinn.

Martina Mumenthaler, Rettungshundeführerin in Ausbildung

Litchi verbrachte ihre ersten Lebenswochen bei einem drogenabhängigen Besitzer und daraufhin einige Monate im Tierheim. Man muss keine Hundekennerin sein, um sich vorstellen zu können, wie viel Mühe und Zuneigung, aber auch strikte Führung es erfordert, ein Tier mit einer solchen Vergangenheit zu «resozialisieren». Obwohl sich Martina Mumenthaler dieser Problematik bewusst war, nahm sie die Herausforderung an und gab der braun-weissen Junghündin eine Chance. «No risk, no fun», fügt sie mit einem Augenzwinkern hinzu.

Diese positive Einstellung hat sich ausgezahlt – in den letzten Jahren haben beide als Team riesige Fortschritte gemacht. Dass sie bis zu fünf Mal pro Monat zusammen auf dem Übungsplatz über Stock und Stein gehen, hat einen grossen Teil dazu beigetragen. Dies zeigt sich auch während der letzten Übung, als Litchi den in einer Kiste versteckten Figuranten gezielt aufspürt, durch Bellen anzeigt und die Aufgabe somit mit Bravour meistert. Ob die beiden eines Tages tatsächlich als Team einen realen Einsatz bestreiten werden, ist noch unklar.

M wie motiviert

Aufgewachsen in einem kleinen Dorf am Greifensee, absolvierte Martina Mumenthaler nach der Schule eine dreijährige Lehre zur Fotofachangestellten und erlernte neben dem Verkauf von Kameras das professionelle Fotografieren und Entwickeln von Filmen. Mit 24 führte sie bereits eine Filiale in der Zürcher Innenstadt – keine leichte Aufgabe: «Ich musste lernen, mich durchzusetzen. Insbesondere die langjährigen Mitarbeitenden galt es, von meinem Können zu überzeugen.»

Nach zehn Jahren im Lehrbetrieb und einer Weiterbildung zur technischen Kauffrau wechselte sie 2009 zu einer Firma für Werbetechnik. Trotz des spannenden Einblicks in eine komplett neue Branche sei sie aber nicht mit ganzem Herzen bei der Sache gewesen: «Zu oft stand der finanzielle Gewinn im Vordergrund, zu oft blieb die Wertschätzung gegenüber uns Mitarbeitenden auf der Strecke.» So überrascht es nicht, dass ihr weiterer Weg sie zu einer gemeinnützigen Stiftung führte – als Quereinsteigerin beim Tierrettungsdienst und Tierheim Pfötli, wo Wertvorstellungen wie Fürsorge, Wohlwollen und Hilfsbereitschaft im Fokus stehen.

 

Während zahlreicher Einsätze hat Martina Mumenthaler zusammen mit ihrem Team verwahrloste und ausgesetzte Tiere im «Pfötli» aufgepäppelt, neu platziert oder verletzte Tiere in umliegende Kliniken transportiert. Obwohl dieser Job sie weitgehend erfüllte, fehlten ihr die Tätigkeiten, bei denen sie planen und organisieren konnte. Doch würde sie überhaupt eine Stelle finden, wo sie die ihr wichtigen Wertvorstellungen, aber auch den kaufmännischen Teil leben konnte?

Ja! Und zwar als Kursadministratorin bei Schutz & Rettung Zürich. Diese Funktion übt Martina seit 2016 in einer 80-Prozent-Anstellung aus, seit Januar 2017 in der Abteilung Ausbildung Feuerwehr & Zivilschutz. «Ich schätze den Zusammenhalt bei der Feuerwehr ungemein», erklärt Martina Mumenthaler. «Hier bin ich umgeben von tollen Leuten, ich spüre die Wertschätzung, die einander entgegengebracht wird. Mich motiviert die Tatsache, für eine Organisation tätig zu sein, die ein sinnvolles Ziel verfolgt.» Motiviert ist Martina nicht nur bei der Arbeit, sondern auch im Bereich Weiterbildung: Einen Nachmittag und einen Abend pro Woche widmet sie sich dem Betriebswirtschaftsstudium am KV Zürich, das sie voraussichtlich im kommenden Sommer abschliessen wird.

 

Hier bin ich umgeben von tollen Leuten, ich spüre die Wertschätzung, die einander entgegengebracht wird.

Martina Mumenthaler, Mitarbeitende Schutz & Rettung Zürich

M wie mutig

Wann immer es die Zeit zulässt, steht Martina zusammen mit ihrem Partner, der zwei Kinder in die Beziehung mitbringt, in der Kletterhalle zum Bouldern. So nennt man das Klettern ohne Sicherung an Felsblöcken oder künstlichen Kletterwänden in Absprunghöhe. «In diesem Sport brauchst du den ganzen Körper. Es ist sehr kraftintensiv, vor allem an den überhängenden Stellen», erklärt mir Martina. Selbst nach eineinhalb Jahren kostet sie jede Kletterpartie noch viel Mut: «Ich habe Höhenangst. Das Klettern in grossen Höhen wäre nichts für mich!» Weniger Nervenkitzel, aber geradeso viel Spass bereitet ihr das Basketballspielen. Früher spielte sie im Club, heute noch einmal wöchentlich zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen der Flughafen Zürich AG.

M wie mitverantwortlich

Obwohl Martina Mumenthaler mit Arbeit, Studium und Hobbys weitgehend ausgelastet ist, engagiert sie sich regelmässig für wohltätige Zwecke: So betreut sie beim «Pfötli» als freiwillige Helferin bis zu zweimal monatlich für eine Nacht die 24-h-Notfallzentrale. Weiter stehen ein- bis zweimal pro Jahr In- und Auslandeinsätze zusammen mit der Susy Utzinger Stiftung für Tierschutz auf dem Programm. Die Stiftung packt dort an, wo Tiere dringend Hilfe benötigen, in Form von Renovationsarbeiten in Tierheimen und auf Gnadenhöfen, mit grossangelegten Kastrationsaktionen oder mit Material-Sammelaufrufen.

Das letzte Mal arbeitete Martina während eines viertägigen Einsatzes in Frankreich mit. Dabei übernachteten alle Helferinnen und Helfer in einfachen Zelten auf dem Grundstück eines verwahrlosten Tierheims, wo sie über 100 Hunde entwurmten, von mühsamem Flohbefall befreiten und längst überfällige Unterhaltsarbeiten an den abgewohnten Räumlichkeiten leisteten. «Es ist immer wieder erstaunlich, wie viel du als Gruppe innert kürzester Zeit auf die Beine stellen kannst!»

 

 

Wenn ich mit 80 Jahren auf mein Leben zurückblicke, möchte ich sagen können, dass ich meine Zeit sinnvoll investiert habe.

Martina Mumenthaler

Meine etwas provokative, wenn auch nicht ganz ernst gemeinte Frage, ob sie an einem Helfersyndrom leide, verneint Martina: «Ich sehe mich selber nicht als Wohltäterin. Etwas ist mir einfach wichtig: Wenn ich mit 80 Jahren auf mein Leben zurückblicke, möchte ich sagen können, dass ich meine Zeit auf dieser Erde sinnvoll investiert habe.»

Als ich zum Abschluss noch nach dem einen grossen Lebenstraum frage, reagiert sie sehr bescheiden: «Ich lebe von Tag zu Tag. Aber klar, eine grosse Reise würde mir schon gefallen.» Am meisten reize sie die Natur und die Weite der Mongolei. Allerdings sei sie schon sehr gerne zu Hause und fügt lachend hinzu: «Wahrscheinlich hätte ich nach den ersten zwei Wochen schon das erste Mal Heimweh.»